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SCÈNE 22 - Berliner Ensemble

Die 1999 vom Bureau du Théâtre et de la Danse/ Institut français Deutschland initiierte Theaterreihe Scène veröffentlicht jährlich bzw. zweijährlich in Zusammenarbeit mit Belgien, Québec und der Schweiz vier bis acht ins Deutsche übersetzte Theaterstücke zeitgenössischer französischsprachiger Autoren. Diese werden in der deutschen Theater-Szene umfassend beworben. Die Auswahl der Texte erfolgt durch die Herausgeber der Reihe, Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand, in Absprache mit den Partnern der Reihe. https://scene-theater.de/.

Die 22. Ausgabe der Reihe SCÈNE hätte am 14. Novmeber acht zeitgenössische Theatertexte aus Frankreich, Belgien, Quebec und der Schweiz präsentiert. Thematisch im Mittelpunkt standen der Umgang mit einer dystopischen Gegenwart und die Zukunftsperspektiven einer Generation, die mit globalen Krisen, Turbokapitalismus und Wertefall aufgewachsen ist. Während in den Texten von Gwendoline Soublin und Claudine Galea Kinder und Jugendliche mit der zerstörten Welt ihrer Eltern konfrontiert werden, beschreiben Annick Lefebvre, Alex Lorette und Olivier Choinière satirisch überspitzt die Sackgassen der westlichen Konsumgesellschaft. Myriam Saduis, Julie Gilbert und Sarah Jane Moloney zeichnen das komplexe Netz postkolonialer Verstrickungen nach, das unsere Gegenwart prägt und versuchen, durch den Rückgriff auf Kunst und Mythos überzeitliche Perspektiven einzunehmen.

Leider musste Scène 2020 wegen der Corona-Maßnahmen abgesagt werden.

FINAL CUT – MYRIAM SADUIS ÜBERSETZT VON Leyla-Claire Rabih / Frank Weigand «Final Cut» ist ein Monolog, der jedoch immer wieder collagenartig durch Stimmen aus der Geschichte und dem persönlichen Umfeld unterbrochen wird. In einer Art lecture-performance rollt die Schauspielerin und Regisseurin anhand ihres persönlichen Lebenstraumas das historische Trauma der französischen Kolonialisierung Tunesiens und seiner Folgen bis in die Gegenwart auf. Wie in einer Psychoanalysesitzung zeichnet sie die gescheiterte Liebe ihrer Eltern (Mutter: Tunesierin italienischer Abstammung, später französische Staatsbürgerin – Vater: arabischer Tunesier, der aus Frankreich ausgewiesen wird) und den anschließenden administrativen Kleinkrieg nach. Trotz aller historischen, politischen und künstlerischen Exkurse (es wimmelt in dem Stück von Verweisen auf Filme und Chansons, die die kulturelle Atmosphäre im Frankreich der 1960er-Jahre wiedergeben) bleibt der Text ein zutiefst persönliches Dokument einer pathologischen Mutter-Tochter-Beziehung. Am Beispiel der eigenen Biografie zeigt Saduis, wie eine Generation, die zwischen den Folgeschäden des Kolonialismus aufwächst, buchstäblich von der Geschichte erdrückt wird. Myriam Saduis, geboren 1962 in Dijon, ist in erster Linie Schauspielerin und Regisseurin. Nach einem Schauspielstudium am Institut Supérieur des Arts (INSAS) in Brüssel arbeitet sie zunächst Jahre lang als Interpretin, bis sie sich mit ihrer eigenen Compagnie Défilé auf die Regiearbeit konzentriert. Parallel zu ihrer künstlerischen Tätigkeit gibt sie 15 Jahre lang Theaterworkshops in psychiatrischen Einrichtungen. In ihren vielfach ausgezeichneten Regiearbeiten adaptiert sie häufig Prosatexte (z.B. von Ingmar Bergmann, Hannah Arendt oder Nicole Malinconi) für die Bühne. Für « Final Cut », ihren ersten eigenen Theatertext, erhält sie 2019 den belgischen Kritikerpreis Prix Maeterlinck. http://www.myriamsaduis.be/

DREAMJOB(S) – ALEX LORETTE ÜBERSETZT VON Christa Müller/Silvia Berutti Alex Lorette beschäftigt sich mit der kapitalistischen Verheißung der Wunscherfüllung. In seinem formal komplexen, in mehreren Erzählsträngen angelegten, mit immerhin sechs Schauspieler*innen besetzten Text, erzählt er die Geschichte von Chloé, die sich nach einem Archäologiestudium prekär von Job zu Job hangelt und schließlich im gewaltigen Lager eines multinationalen online-Versandhandels landet, hinter dem sich unschwer zu erkennen Amazon verbirgt. Als sie schließlich wegen der unmenschlichen Zeittaktung eine Fehlgeburt erleidet, legt sie ein Feuer in der Firma und flieht nach Südamerika, um das Werk des Künstlers Carlos Cruz-Diez zu erforschen, über den sie vor langer Zeit ihre Abschlussarbeit geschrieben hatte. Parallel dazu laufen die Geschichten ihres Freundes Fred ab, der vom DJ zum Kurierfahrer absteigt und die von Paul, der für sich unterschiedliche Firmen um die Entlassungen und Neuvermittlung überflüssigen Personals kümmert. Gegenfigur zu Chloé ist ihre Freundin Melina, die nach einer schweren Krankheit in ihrer Jugend nun alles tut, um sich die glänzenden Träume der Konsumwelt zu erfüllen. Hinter der kunstvollen Verwebung der Handlungsstränge verbirgt sich jedoch ein kaum verhehlter Aufruf zur Revolte. In diesem System, in dem jeder, auch die Chefs selbst, instrumentalisiert und ausgebeutet werden, ist Zerstörung womöglich die einzige Überlebenschance. Alex Lorette wurde 1973 geboren und lebt und arbeitet als Dramatiker und Regisseur in Brüssel. Zunächst studiert er Wirtschaft und Soziologie, um sich später einer Schauspielausbildung und einem Studium der Theaterwissenschaft zu widmen. 2006 gründet er die Compagnie Kinesis. Seine Texte werden in Frankreich und Belgien gespielt. « Pika Don (Hiroshima) » wurde 2018 beim Heidelberger Stückemarkt präsentiert. Für« Dream Job(s) » erhielt Alex Lorette den belgischen Regiepreis 2018-19. https://www.theatre-contemporain.net/biographies/Alex-Lorette/